Tag Sechs

Nach dem Aufstehen habe ich eine Euphorie verspürt, wie an noch keinem Tag zuvor. Ich wollte unbedingt meinem Chef beweisen, dass ich das Zeug dazu habe, ein richtig guter Werber zu werden. Für alle die, die den Überblick verloren haben, wir haben Samstag, den letzten Arbeitstag der ersten Woche.
Da zwei Mitglieder, unter anderem auch mein Zimmerkollege, ziemlich auf der Kippe standen, ob sie bleiben dürfen oder nicht, waren wir doch recht angespannt. Also ja, Wesser hält die Teamchefs an, zu überprüfen, ob einzelne Mitarbeiter eine gewisse Leistung an den Tag legen oder nicht. Die die es nicht tun, müssen leider gehen. Ist ja auch logisch. Immerhin werden wir ja gut bezahlt. Die Unterkunft und die Mietwagen übernimmt die Firma ja auch. Es ist zwar schade, dass wir dadurch ziemlich unter Druck stehen, aber so ist der Job eben. Man sollte sich also zweimal überlegen, ob man dieser Anspannung auch standhalten kann. Aber auch dieser Aspekt des Ferienjobs, war ja jedem bewusst. Da ich am Vortag so „gut“ war, habe ich mich noch ans sichere Ufer bringen können…
Wie dem auch sei… Fokussieren, fertig machen und los geht’s. Heute wird mein Tag! Während der Autofahrt war ich wieder ziemlich nachdenklich. Total abgelenkt. Warum dauert die Fahrt auch immer so lange? 40 Minuten fahren. Alle quatschen, doch um mich drum herum war doch Stille. Ich habe alles ausgeblendet. Ich habe fünf Tage gearbeitet – Bilanz? Sechs Mitglieder und 33 Einheiten. Zur Erinnerung: Wer zwei Wochen in Folge unter 85 Einheiten hat, darf sich auf ein Gespräch freuen, welches die künftige Zusammenarbeit in Frage stellt. Tolle Aussichten, oder? Doch anstatt mich davon runterziehen zu lassen, motiviert mich es doch eher. Immerhin brauche ich doch nur noch 52 Einheiten. 😉
Endlich in meinem Gebiet angekommen. Huh. Durchatmen, provisorisch eine rauchen. Kurz orientieren, wo ich überhaupt bin und los. Erste Tür. Niemand macht auf. Egal. Nächste. Wieder niemand da. Oder doch? Nein, nur der Hund. – „Machen Sie ja nicht die Tür auf, der Hund ist ein guter Bewacher“. Von unten kommt eine ältere, sehr freundlich aussehende Dame. „Ihr Bodyguard?“ – sie lacht: „Ja. Und Sie sind?“ Das ist meine Chance. Hau rein! Sei fresh! Kurz und knapp alles erzählt. Sie schien interessiert. „Wir haben übrigens auch die beste Hunderettungsstaffel hier in der Umgebung, in Schweinfurt!“. Sehr gut! Immer noch nicht überzeugt? Mach weiter!
Und tatsächlich. Nachdem sie mich fragte, ob ich Angst vor Hunden hätte, hat sie mich in ihre Wohnung gebeten. Daraufhin habe ich sie aufgeschrieben. 10 Einheiten. Krass. Was ist heute los? Gleich die erste Tür und 10 Einheiten! Nicht drauf ausruhen, 42 fehlen dir noch! Also die Motivation genommen und weiter geht’s. Die nächsten Türen waren nichts. Doch dann… Keine halbe Stunde später wieder eine neue Förderin, diesmal berufstätige junge Frau. 4 Einheiten. Immer weiter so! 38 gehen schon noch!

Als ich dann gemerkt habe, dass mein Akku bald den Geist aufgibt, habe ich unserer Profi geschrieben, dass ich bereits zwei neue Leute habe und dass wir uns doch bitte einen Treffpunkt ausmachen, wo sie mich wieder abholen soll. Daraufhin haben wir uns für eine Stunde später verabredet, da sie mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein wenig mit ihr zusammenzuarbeiten. Natürlich habe ich zugesagt, da ich unbedingt wissen wollte, wie sie an die Sache herangeht. Ich habe dennoch erst einmal unbeirrt weitergemacht. Und wieder hat es nur 20 Minuten gedauert, bis ich die nächste Person dazu tragen konnte. Ein Mann, wunderschönes Haus und noch dazu eine bezaubernde Tochter. 😉 Spaß beiseite. Ich musste mich richtig anstrengen und tief in meine Informationskiste greifen, um ihn für die gute Sache zu überzeugen. Ich dachte erst, dass es nichts wird, weil ich mich doch leicht von dem schönen Ausblick verwirren lassen hab. Aber egal. Irgendwie habe ich dann doch noch die Kurve gekriegt und die Sache recht schnell abgeschlossen. 15 Einheiten. Wait. Krass. Soviel hatte ich noch nie. Soviel hatte ich nicht mal nach 4 Arbeitstagen. Es geht bergauf! Dieses wahnsinnige Gefühl in mir. Ich kann es kaum in Worte fassen. Man fühlt sich kurz wie Hulk. Kennt ihr das? Man hat irgendetwas erreicht und man denkt, man könnte einfach alles schaffen? Bäume ausreißen? Direkt. Mein Tagesziel? – In greifbarer Nähe. Nur noch 23 Einheiten. Und ich habe gerade einmal 1 ½ Stunden gearbeitet. Sich selbst pushen und weiter! Nur noch eine halbe Stunde bis die Profi kommt. Kurz kalkulieren. Ich brauche etwa 5-10 Minuten zum Treffpunkt. Also los. Gas geben. Aber ich habe keinen mehr erwischt. Entweder nicht da, beschäftigt oder kein Interesse. Okay. Fünf Minuten hätte ich noch. Ein letztes Mal klingeln vor der Pause geht schon. Kurz durchgeatmet und geklingelt. Nach gefühlten 20 Minuten macht dann auch endlich eine junge Frau auf. Sie war sehr freundlich und wollte eigentlich keine Mitgliedschaft, da ihr Mann bereits bei den Johannitern war. Oder? Nach kurzem Überlegen war die Frau total verunsichert. Sie kannte die Johanniter. Natürlich kannte sie uns. Sie mochte unsere Arbeit. Das Ehrenamt ist ja auch wichtig. Und das mit der Trauma-Pädagogik. Nach einem kleinem Ruck meinerseits, hat sich die Frau auch noch bereiterklärt, das zu machen. Wenn ihr Mann ja bereits da wäre, könnte die gute Frau ja immer noch stornieren. Kein Ding. Danke für die sieben Einheiten. 16 fehlen noch.
Als die Profi da war, haben wir uns noch schnell einen Kaffee geholt und eine kleine Pause gemacht. Sie war total überrascht, dass ich bereits vier Leute hatte, da wir ja erst vor einer Stunde telefoniert haben und ich zu diesem Zeitpunkt erst zwei hatte. Ein Lob? Sie war begeistert.
Als es dann wieder an die Haustüre ging, wollte sie erst mich in Aktion sehen. Vom Meister lernen. 😛
Erste Tür – niemand da. Nächste – keine Chance. Aber die Dritte. Eine Oma machte mir auf. Größtes Lächeln aufgesetzt und los geredet. „Ah die Johanniter. Ja kommen Sie rein. – Da ist mein Mann. XXX, hol mal dein Portmonnaie, Gib denen fünf Euro.“ – „Gute Frau, wir nehmen kein Bargeld an, das ist gesetzlich verboten.“ Nachdem ich ihr dann das Formular gezeigt habe, war sie interessiert. Als sie sich dazu bereit erklärte da mitzumachen, habe ich sie zunächst gefragt, ob alle Fragen ihrerseits geklärt sei und sie danach mit dazu getragen. Jedoch schien ihr Mann damit nicht ganz einverstanden zu sein. Als ich ihn dann höflichst bat, seine Bankdaten zu holen, wurde ich richtig wütend. Er hat angefangen rum zu schreien. Als die gute Frau ihn auch nicht mehr beruhigen konnte, flippte komplett aus. Er griff an meiner Jacke und beförderte mich unsanft hinaus. Beruhig dich. Einfach weitermachen. Geh nicht drauf ein.
Luft holen durchatmen. Trotz dass es nicht gut lief, war die Profi von meinem Stil fasziniert. Von der Ruhe und Selbstsicherheit meinerseits. Danke.
Das größte Kompliment war, dass sie meinte, ich hätte Chancen für die Wesser University. Ihr wisst nicht was es ist? Ein Traum. Googlet es einfach mal.
Jetzt war sie an der Reihe. Nachdem wir eine weitere ältere Dame zu einem äußerst schlechtem Zeitpunkt erwischt haben, mussten wir noch aushandeln, dass sie zwei Minuten Zeit für uns nimmt, wenn ich statt Ihrer die Zeitung holen gehe. Deal.
Also schnell das Versprechen gehalten und Zeitung geholt. Die Profi fängt an zu reden. Sie hat einen ganz anderen Stil. Sie will gar nicht durch reine Sympathie punkten, sondern setzt auf die Macht der Zahlen und wirft mit Fakten und Statistiken um sich. Doch die gute Frau möchte einfach nicht. Keine Chance. Keine Ursache, nächste Tür. Nach ein paar Haustüren haben wir beschlossen einen großen Block gemeinsam abzuarbeiten. Ich rechts, sie links rum. Nach etwa einer halben Stunde hat mich ein Mann in seine Wohnung gebeten, mir einen Platz angeboten und ich habe dann angefangen zu erzählen. Nach ein paar Minuten ist seine Tochter reingeplatzt: „AH, die Johanniter – die Besten – wo muss ich unterschreiben?“ Läuft. Weitere 5 Einheiten. Nur noch 11 bis zur 85! Jedoch sollte es heute nicht mehr werden. Nach ewigen rumlaufen, war ich so erschöpft, dass ich erst einmal eine Pause gemacht habe. Aber wie gesagt, danach lief nichts mehr.
Nachdem wir zu Hause angekommen sind, haben wir schnell Pizzen rein geworfen und uns alle fertig gemacht. Wir wollten feiern gehen. Gegen zwei kam das Taxi, ab nach Würzburg!