Tag Zwei

Nach dem ersten Tag der Ernüchterung war ich dennoch total motiviert, da ich unbedingt einen Erfolg verbuchen wollte. Der Ablauf morgens blieb größtenteils der Selbe. Fertig machen, anziehen und ab ins Auto zum Einsatzort. Heute allerdings schaut mir mein Teamchef über die Schultern. Jedoch hatte ich die ersten paar Stunden noch für mich zum ausprobieren. War auch ganz gut so, denn die ersten Gespräche liefen überhaupt nicht. Ich wurde zumeist direkt abgewiesen – „Will ich nicht; Kann ich nicht; Kein Interesse“. Immer wieder die altbekannten Ausreden. Dass sich die Leute nichts neues ausdenken. „Gehen Sie bloß weg“ oder „Scheren Sie sich zum Teufel“ sind auch ganz nett. Egal. Weiter geht’s. Gegen 15.00 Uhr kam mein Teamchef. Sofort hat man gemerkt, wie gut er darin ist. Sein Tempo? Ungemein schnell. Er hat gemeint, dass es besser ist schneller und fixer unterwegs zu sein und dafür längere, intensivere Pausen wahrzunehmen. Denn desto mehr Gespräche man am Tag führt, umso mehr Erfolge verbucht man. Logisch.
Gleich das erste Haus war fast ein Erfolg. Wahnsinn mit was für einer Leichtigkeit er da redet. Weiter nächste Tür. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Egal weiter machen, der Rettungsdienst hört ja schließlich auch nicht auf zu fahren. Er klingelt, ich stehe bloß daneben und weiß gar nicht was gerade geschehen ist. Trotz dass die Frau nur wenig Zeit hatte und eigentlich voll im Stress war. – Sie hatte unterschrieben. Wahnsinn. Ein Meister in seinem Handwerk eben. Gar keine Zeit verlieren und sich feiern, sondern die Motivation nehmen und weitermachen. An der dritten und vierten Tür war keiner da. Aber an der fünften machte ein Azubi auf. Auch kein Intersse. Aber mein Chef lässt sich nicht beirren. Redet herum, erklärt alles locker auf die Kumpelschiene. Funktioniert. Keine fünf Minuten und unser gegenüber holt seine Bankkarte. Verdammt noch mal wie macht er das bloß? Für ihn ist das anscheinend eine Selbstverständlichkeit. Hätte ich nie gedacht, wie einfach es sein kann. Die nächsten Gespräche führe ich. Erst an der siebten Tür macht mir jemand auf. Eine junge Mutter stand da und ich fange an zu reden. Ich bin total nervös, da ich mir keinen Fehler erlauben will. Doch die gute Frau unterbricht mich, da sie bereits bei den Johannitern war. Sofort macht mein Chef einen Schritt vor und übernimmt die Führung des Gesprächs. Er möchte mir zeigen, wie er das macht, wenn bereits jemand Mitglied ist. Wieder mit der selben lockeren aber sicheren Art wickelt er sie fast um den Finger, es geht um eine Beitragserhöhung. Doch sie möchte das alles mit ihrem Mann abklären, der leider auf Montage ist. Kein Problem, wir gehen weiter. An der zehnten Tür, bittet man uns rein. Wieder läuft es mir eiskalt an dem Rücken herunter. Sei es die Nervosität oder einfach nur, dass ich schwitze und die Jacke nicht atmet. Nachdem ich mit meinen Ausführungen fertig war, half mir mein Chef noch kurz auf die Sprünge, sagte ein zwei Sätze und dann war die Sache „gegessen“. Tatsächlich geht der gute Herr hoch und holt seine Daten. Wahnsinn, das erste Mitglied für mich! Ich war so erleichtert und froh, als wir endlich fertig waren und zurück zu seinem Auto liefen. Eine Raucherpause, ja die brauche ich.
Am Auto gab’s noch ein kleines Feedback, was waren kleine Fehler, was kann man besser machen. Ich bin unheimlich dankbar, dass er da war. Immerhin haben wir innerhalb einer dreiviertel Stunde DREI neue Förderer gefunden! Ich weiß, ich wiederhole mich – Aber WAHNSINN!!!

Nachdem er gefahren ist, war ich erst recht voller Tatendrang. Doch es sollte nichts werden. Wieder die selben Ausreden. Ich lasse mich einfach viel zu leicht abwimmeln. Einmal hätte ich fast eine weitere Unterschrift. Ein älterer Herr wollte seinen Beitrag erhöhen. Wir waren gerade dabei alles aufzuschreiben. Als der Mann dann noch seinen Mitgliedsausweis holen wollte, kam seine Tochter oder Schwiegertochter hinterhergestürmt und hat ihn wieder hineingezogen und die Tür zugeschmissen. Krass. Aber okay. Nicht beirren lassen, weitermachen.
Danach habe ich noch eine junge Frau besucht, die nicht wirklich davon überzeugt war, jedoch nach meinen Worten etwas geschwankt ist. Ich dachte ich hätte sie bereits für mich gewonnen, aber dann doch das „Nein“. Schade. Als sie die Tür wieder geschlossen hatte, habe ich gemerkt, dass ich einfach den Sacke hätte „zu“ machen sollen. Verdammt, vermasselt. Kopf hoch, weitermachen. Ich hätte nicht gedacht, wie sehr die Absagen an einem nagen. Aber ich habe mich wieder auf das Glücksgefühl besinnt und wollte unbedingt noch einen schreiben, bevor es wieder zurück ins Quartier geht. Vollends motiviert bin ich also förmlich zur nächsten Tür gerannt. Eine junge Auszubildende machte mir die Tür auf. Sie war tätowiert und gepierct, schien ganz locker aus. Diesmal wollte ich alles „richtig“ machen, lasse mich nicht abwimmeln. Nach ein paar Sätzen hab ich schon gemerkt, dass sie eigentlich nicht so großes Interesse hat. Also habe ich mich an das Gespräch vom Chef besinnt. Einfach drumherum reden. „Ah ich sehe du hast Tattoos, bist du überall tätowiert?“ – „Ja ne, nicht ganz – und hast du Tattoos?“ – „Ich mach den Job, damit ich mir die Farbe auf dem Körper leisten kann.“ – „Ah cool, willst du rein kommen? Dann stören wir nicht die Nachbarn…“ Jackpot!
Nach ein wenig Smalltalk habe ich wieder auf das eigentliche Thema zurückgeführt. Und sie war tatsächlich bereit das Formular zu unterschreiben! Ich hab’s tatsächlich geschafft. Ganz ohne Hilfe. Mein Tagesziel war erreicht. Innerlich fuhr ich gerade Achterbahn mit 50 Loopings.
Die Fahrt zurück ins Quartier war doch recht entspannt. Am Abend gab es wieder Pizza. Wir sind alle recht früh ins Bett gefallen. Die Arbeitstage ziehen sich doch ein wenig…